Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AUB) gilt als zentrales Beweismittel im Arbeitsrecht, um die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit eines Arbeitnehmers zu dokumentieren. Sie genießt grundsätzlich hohen Beweiswert. Doch was passiert, wenn Zweifel an ihrer Glaubhaftigkeit aufkommen? Mit Urteil vom 18.09.2024 (5 AZR 29/24) hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) die Grenzen dieses Beweiswerts erneut präzisiert und eine Entscheidung getroffen, die vor allem für Arbeitgeber von erheblicher Bedeutung ist.
Im zugrunde liegenden Fall hatte ein Arbeitgeber einem Mitarbeiter an einem Freitag ordentlich gekündigt. Der Arbeitnehmer reichte daraufhin ab dem darauffolgenden Montag eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ein, die ihn für die gesamte Woche krankmeldete. Trotz der Krankschreibung führte der Arbeitnehmer Telefonate, die zu seinen vertraglich geschuldeten Aufgaben zählten.
Der Arbeitgeber zweifelte daraufhin die Glaubhaftigkeit der AUB an und stellte die Lohnfortzahlung ein. Der Arbeitnehmer erhob Klage mit dem Ziel, die ausstehende Vergütung einzufordern. Kernfrage war, ob der Arbeitgeber den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erfolgreich erschüttern konnte.
Das BAG verwies in seiner Urteilsbegründung zunächst auf die Rechtsprechung zur sogenannten „Einheit des Verhinderungsfalls“. Demnach ist eine Fortsetzung der Erkrankung auch dann anzunehmen, wenn zwischen der neuen Krankmeldung und der abgelaufenen lediglich arbeitsfreie Tage liegen. Auf Grundlage dieses Gedankens argumentierte das BAG, dass ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen der Kündigung am Freitag und der darauffolgenden Krankmeldung am Montag bestand. Der Umstand, dass die Erkrankung zwar nicht unmittelbar, aber in engem zeitlichem Zusammenhang mit dem Erhalt des Kündigungsschreibens begann, wurde als starkes Indiz für Zweifel an der tatsächlichen Arbeitsunfähigkeit gewertet.
Ein weiteres Zweifelsmoment sah das BAG darin, dass der Arbeitnehmer trotz Krankschreibung Telefonate führte, die eine Teilaufgabe seiner vertraglich geschuldeten Tätigkeit darstellten. Diese Telefonate führte der Arbeitnehmer in eigenem Interesse, um Partner und Kunden des Arbeitgebers abzuwerben. Nach Auffassung des BAG widersprachen die ausgeführten Tätigkeiten in Art und Umfang der behaupteten Arbeitsunfähigkeit. Das Gericht wertete diesen Widerspruch als geeignet, den Beweiswert der AUB erheblich zu erschüttern.
Das Urteil des BAG unterstreicht, dass Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen zwar ein starkes Beweismittel sind, aber nicht unangreifbar. Arbeitgeber haben das Recht, begründete Zweifel am Beweiswert einer AUB vorzubringen. Dabei reicht ein zeitlicher Zusammenhang zwischen Kündigung und Krankschreibung allein nicht aus. Es müssen zusätzliche Tatsachen vorliegen, die den Beweiswert erschüttern. Ein solcher stellt aber trotzdem ein starkes Indiz dafür dar, dass der Beweiswert möglicherweise erschüttert werden könnte.
Für Arbeitgeber ergibt sich aus diesem Urteil folgende Handlungsanleitung:
Pro-Tipp: Arbeitgeber dürfen Krankmeldungen im Einzelfall kritisch hinterfragen. Sind die Zweifel gut dokumentiert und rechtlich fundiert, kann ein Einbehalt der Entgeltfortzahlung gerechtfertigt sein.